
Netzwerkforum Stahllogistik 2025
NetzwerkForum Stahl 2025
Zukunft Stahllogistik 2025 – Neue Welt durch künstliche Intelligenz?
Das NetzwerkForum Stahl von Kompetenznetz Logistik.NRW und Verband Verkehrswirtschaft und Logistik Nordrhein-Westfalen e. V. (VVWL) war am 5. Mai 2025 in Dortmund der alljährliche Treffpunkt von über 80 Logistik-Entscheidern aus der Stahlindustrie, dem Stahlhandel und der Stahllogistik-Dienstleistungsbranche.
In seiner Begrüßung brachte Stefan Windgätter, Mitglied des Gesamtvorstandes / Vorsitzender Fachausschuss Stahltransporte und –Logistik im VVWL NRW e. V. / Geschäftsführender Gesellschafter Windgätter & Sohn GmbH die aktuelle wirtschaftliche Lage auf den Punkt: „Die Stahlbranche und ihre Logistik-Dienstleister sind derzeit in schwerer See (Konjunktur, Energiepreise, Transformation, politisches Umfeld, Unsicherheiten, Handelskrieg). Gerade jetzt gilt: Partnerschaftliches Miteinander sollte prioritär sein und „bringt“ es!
Stahl, Stahlmärkte und aktuelle Politik 2025
Dr. Christian Untrieser, Wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU im Landtag Nordrhein-Westfalen, mahnte im dritten Jahr der Rezession eine in jeglicher Hinsicht andere Wirtschaftspolitik an. Die neue Bundesregierung habe schnell wichtige Entscheidungen für bessere wirtschaftliche Rahmenbedingungen zu treffen. Dr. Untrieser erinnerte an dieser Stelle auch an die Initiative der Stahl-Bundesländer zur Branchepolitik Stahl mit dem „Nationalen Aktionsplan Stahl“ aus September 2024 Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung beinhalte wichtige Aussagen zur Sicherung des Stahlstandortes NRW und Deutschland. Zudem betonte Dr. Untrieser die Förderung der energetischen Transformation der Thyssenkrupp Stahlwerke durch das Land NRW mit 700 Mio. €. Dr. Martin Theuringer, Geschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung Stahl, berichtete von einer außengewöhnlich schlechten konjunkturellen Lage. Sehr deutlich sei geworden: Die Stahlkonjunktur befinde sich gegenwärtig noch in einem tiefen Tal. Die Rohstahlproduktion sei im ersten Quartal deutlich zurückgegangen, die Nachfrage sinke seit sechs Jahren und im internationalen Vergleich falle der Stahlmarkt in Deutschland, was das Marktvolumen betrifft, immer weiter zurück. Alle wesentlichen Stahlverarbeiter (Automotive, Bauindustrie, Metallwaren, Maschinenbau) seien in der Rezession, überwiegend bereits im dritten Jahr. Zudem blickten diese pessimistisch in die Zukunft. Kurzfristig sei kaum mit einer Aufhellung zu rechnen, langfristig, ab 2026 und vollumfänglich eher ab 2027 sei mit neuen Perspektiven zu rechnen.
Die Aussichten für 2025 beschrieb Dr. Theuringer als verhalten: Die Produktion bei vielen stahlverarbeitenden Branchen bleibe den vorlaufenden Indikatoren zufolge zunächst rückläufig. Die Rohstahlproduktion sei auch 2025 bislang rückläufig, im Jahr 2024 lag die Rohstahlproduktion in Deutschland trotz einer Steigerung von 5% in 2024 zum Vorjahr zum dritten Mal unter 40 Millionen Tonnen. Das neue Jahr habe mit einem kräftigen Produktionsrückgang begonnen. Hinzu komme, dass die Risiken außergewöhnlich groß seien, gerade mit Blick auf den internationalen Handel, auf die Entwicklung von Überkapazitäten in Fernost sowie wegen der Zollverwirrungen in den USA.
Das Finanzierungspaket des Bundes (Sondervermögen Infrastruktur und Verteidigung) habe das Potential eines „Game-Changers“. Allerdings, so Dr. Martin Theuringer, gelte dies nur bei zugleich standortstärkenden strukturellen Reformen und gezielten industriepolitischen Maßnahmen insbesondere zur Senkung der Energiekosten. Zusammen biete dies Perspektiven für Wachstum und konjunkturelle Besserung, gerade auch in der Verbindung mit grünen Leitmärkten für Stahl und „European Content Regeln“. All dies dürfte aber erst Wirkung ab dem kommenden Jahr entfallen. Aufgrund der außerordentlich großen Unsicherheit in den Märkten sei es von zentraler Bedeutung, dass die neue Regierung rasch startet, geeint handelt, Erwartungen stabilisiert und die vielen guten Ansätze aus dem Koalitionsvertrag sichtbar in die Umsetzung bringt.
Im anschließenden Stahl-Talk diskutierten unter Moderation von Michael Cordes, Redakteur Deutsche Verkehrs-Zeitung (DVZ), Dr. Christian Untrieser, Dr. Martin Theuringer, Stephan Drautz, Leiter IT & Digitalisierung, SHS-Stahl-Holding-Saar GmbH & Co. KG, und Stefan Windgätter, stv. Vorsitzender im Verband Verkehrswirtschaft und Logistik NRW e.V. (VVWL) sowie Geschäftsführender Gesellschafter der Windgätter GmbH Transporte. Stephan Drautz beschrieb die letzten drei Jahre auch das Unternehmen SHS als außergewöhnlich herausfordernd, die Nachfrage sei in der gesamten EU aber besonders auch in Deutschland rückläufig. Dies gelte insbesondere für die Sektoren Bau und Automotive. Der Kunde Windkraft entwickele sich hingegen insbesondere in den letzten 4 Monaten gut. Bezogen auf den Koalitionsvertrag und die dortigen wirtschaftspolitischen Maßnahmen betonte Stephan Drautz die Wichtigkeit der dortigen Maßnahmen zur Energiepreissenkung und zur Begleitung der energetischen Transformation der Branche. SHS stehe auch trotz der aktuellen Unsicherheiten und des unruhigen Umfelds zur bereits begonnen Dekarbonisierung der eigenen Stahl-Wertschöpfungskette. Stefan Windgätter bestätigte die schlechte Konjunktur in Stahllogistik und auch bei Stahlverarbeitenden wie in vielen Bereichen der Bauindustrie. Nach seiner Einschätzung reagierten bereits viele Kollegen mit Kapazitätsanpassungen, woraus bei einem Aufschwung Probleme resultieren dürften. In dieser Nachfragesituation mit zugleich gestiegenen Kosten (Transformation, Personal- und Personalnebenkosten) verhielte sich der Transportsektor vorsichtig, die Lage beobachtend und zurückhaltend hinsichtlich Investitionen.
Insgesamt sah Dr. Christian Untrieser im Koalitionsvertag des Bundes einige hoffnungsvolle Zeichen. Deutschland sein inzwischen auf einem „Abstiegsplatz“, es gebe dringenden Handlungsbedarf. Er persönlich sah hier allgemein auch die Herausforderung länger arbeiten zu sollen anstatt weiter Arbeitszeiten zu reduzieren (Themen: 1-2 Feiertage zur Disposition stellen? Weiterarbeit, zumindest teilweise im heutigen Renteneinstiegsalter). In Bezug auf die Transformation betonte die beiden Stahlvertreter Dr, Martin Theuringer und Stephan Drautz, dass neben der Schaffung von „grünen (Stahl-) Leitmärkten“ und der Transformation auch die Wettbewerbsfähigkeit des Stahlstandortes EU/Deutschland gleichrangig im Blick behalten werden müsse. „Wir brauchen mehr Pragmatismus bei der Transformation im Rahmen der EU-Klimapolitik, z.B. die Akzeptanz von Schritten etwa in Gestalt eines (vorübergehenden) Einstiegs mit Erdgas und „blauem“ Wasserstoff“, so Dr. Martin Theuringer. Dr. Christian Untrieser wies nach der Betonung der Schaffung von ausreichenden Wasserstoff-Versorgungsinfrastrukturen durch Dr, Martin Theuringer auf die vielen Infrastrukturvorhaben hierzu gerade in NRW hin. Zu mehr Pragmatismus gehöre für ihn auch mehr Offenheit für das Thema Carbon Capture and Storage (CCS), was insbesondere auch für die Kraftwerks- und Chemische Industrie von Bedeutung sei.
In Bezug auf eine staatliche Aufgabe in Gestalt von einer (alleinigen) Lösung des generellen Mangels an ausreichender Versorgungsinfrastruktur bei alternativen Energieträgern und einer Lösung über Subventionen äußerte Dr. Christian Untrieser „ordnungspolitische Bauchschmerzen“. Er verweis auf die Finanzierung solcher Dinge bei den Energienetzbetreibern über den betreffenden Energiepreis. Stefan Windgätter ist grundsätzlich auch kein Freund von Subventionen. Allerdings, so auch Dr. Christoph Kösters, Kompetenznetz Logistik.NRW und Hauptgeschäftsführer des VVWL NRW e.V., zeige hier gerade die unzureichende Förderkulisse bei Ladeeinrichtungen und auf der letzten Meile nach Abschaffung der KsNI-Förderung eine entscheidende Schwachstelle der Transformation in der Logistik (und woanders) auf. Interessant an dieser Stelle: In einer Ad-Hoc-Mentimeter-Umfrage unter den Teilnehmenden am NetzwerkForum Stahl meinten 73% der Antwortenden, dass Politik und Netzbetreiber Investitionen für ausreichende Netz-Kapazitätsbereitstellungen realisieren werden. 80% waren der Ansicht, der Bund realisiere eine auskömmliche Förderung von Lade-Infrastrukturen für Lkw und die anderen Verkehrsträger. 52% erwarteten zudem, dass der Bund eine Mautbefreiung emissionsfreierer Antriebe über 2026 hinaus bis 2030 gültig umsetzt.
Einsatzfelder von KI in Stahlindustrie und Stahllogistik
In der gleichen Umfrage äußerten sich die Teilnehmenden am Forum zu den in den kommenden 2 Jahren realisierten Anwendungsfelder für die Künstliche Intelligenz in der Stahllogistik. An erster Stelle stand die betriebliche Funktion Disposition und danach folgten Transportplanung, Kapazitätsplanung und kaufmännische Prozesse in den Unternehmen. Dr. Deniz Özcan, Geschäftsführung der (Georgsmarienhütte-) GMH Systems GmbH, berichtete zur Transformation durch künstliche Intelligenz (KI) in der Stahlindustrie. Sie bezeichnete die GMH-Gruppe mit ihrer heutigen Aufstellung (Elektrolichtbogenöfen – 2,0, t Co2/t Stahl „konventionelle Erzeugung“ zu 0,4 t Co2/t Stahl bei Elektrolichtbogenofen; 100% Schrottverwendung für die Stahlproduktion) als „Pioniere des grünen Stahls“. Der Einsatz von KI biete in der Stahlindustrie vielfältige Chancen, die Branche nachhaltiger, effizienter und wettbewerbsfähiger zu gestalten. Die Umsetzung von KI in Betrieben setze aber vorbereitende Maßnahmen voraus. Die Verwaltung von Daten (Beschaffung, Aufbereitung, Standardisierung, Governance und Kontrolle) seien die zentrale Herausforderung. Bei einem Unternehmen wie GMH gehe es hier auch um die globale, datenqualitätsbezogen gleiche Verfügbarkeit von Daten, auch bei „alten“ Anlagen. Für eine „KI-Tauglichkeit“ müssten die betrieblichen Daten in großem Umfang zugänglich, aktuell, global, verlässlich, vertrauenswürdig und sicher und sichtbar verfügbar sein. Dr. Deniz Özcan stellte auch konkrete Anwendungsbeispiele vor, so z.B. der Einsatz bei betrieblichen Energiebedarfsprognosen, im (finanziellen) Forecasting der Qualitätssicherung oder der „Circular Economy“ / Materialklassifikation oder Produktionsplanung / Supply Chain. Um KI erfolgreich in einem Unternehmen zu integrieren benötige man eine klare Roadmap, die Mitnahme der Menschen im Betrieb, eine entsprechende Datenqualität, die passenden Technologien und natürlich auch Data Governance und Compliance passgerecht berücksichtigt.
In einem weiteren Talk diskutierten anschließend Andreas Kersch, Geschäftsführer Wuppermann Stahl GmbH, Robert Kokott, CCO Pacemaker.ai / thyssenkrupp Materials DataflowWorks GmbH, Verena Wiechers, Geschäftsführerin Spedition Josef Wiechers GmbH, Stefan Drautz und Dr. Deniz Özcan zu den Einsatzfeldern von KI in der Stahlindustrie und Stahllogistik. Für Verena Wiechers ist KI in ihrem Betrieb eine Möglichkeit, Prozesse zu optimieren und schon vorhandene Daten hierzu einzusetzen. Sie hätten vor einigen Monaten hierzu mit der Umsetzung begonnen, individuell auf ihr Unternehmen ausgerichtet und mit Unterstützung eines mittelständischen Softwarehauses.
Für Robert Kokott ist KI die nächste industrielle Revolution um effizienter zu werden. KI sei keineswegs eher für größere Unternehmen „machbar“ sondern letztlich für jedes, digitale Mittel einsetzende Unternehmen. Allerdings seien natürlich bei KMU die möglichen Investitionsbudgets kleiner, hier gehe es dann eher um Umsetzungen mit Partnern.
Aufgrund seiner Erfahrungen sah Andreas Kersch beim Thema KI große Unterschiede zwischen den Herangehensweisen in Asien oder Deutschland. Während man in Asien „einfach mal macht“ würden in Deutschland zuerst über Themen wie KI-Richtlinien oder DSGVO Hemmungen oder Nicht-Interesse gefördert, mit dem daraus folgenden Problem innerbetrieblicher Hemmschwellen bei der Umsetzung. Umso wichtiger für eine Umsetzung sei es, die Kollegen und Kolleginnen mitzunehmen und ihnen alles zu erklären. KI beinhalte einen Lernprozess und man müsse betrieblich Zeit investieren. Nicht selten seien niederschwellige Einstiege, eigentlich noch eher auf dem Digitalisierungslevel, ein gutes Vorgehen. Wichtig sei es, die eigenen Leute für das Projekt zu begeistern, so Verena Wiechers, In ihrem Unternehmen habe man bezüglich KI-Einsatz mit dem Thema Auftragsannahme und -Verarbeitung begonnen.
Die Umsetzung von KI im Unternehmen ist harte Arbeit, so Stefan Drautz. Ausgangspunkt sei immer zu klären, was man hiermit erreichen wolle. Es müsse im Projekt schon bald bekannt sein, wo die betreffenden Prozesse zur Kostenoptimierung liegen. Mit der Voraussetzung der Mitnahme des Personals, des Vorliegens der „richtigen“ Daten und der „richtigen“ Leute und einem Durchhaltevermögen ließen sich schon bald z.B. in der Produktion Effizienzen heben und somit Kosten sparen. KI müsse sich daran messen lassen, ein betriebliches Problem zu lösen, das ich heute (tatsächlich) habe, so Andreas Kersch. Es gelte sich klare Zielsetzungen für einen KI-Einsatz zu setzen.
Auf die Frage, ob sich der KI-Einsatz (schon) lohne, gab es differenzierte Antworten. Robert Kokott empfahl, sich vorher über die eigenen Erwartungen an den ROI klar zu werden. Grundsätzlich könne man dies berechnen, allerdings sei dann auch zu klären, wie man z.B. eine schnellere Auftragsbearbeitung bewertet und monetarisieren kann. Würde man z.B. bei Bedarfs- („Demand“-) Prognosen parallel auch noch die eigene „herkömmliche“ Planung weiter betreiben, dann seien eher geringe bis keine Effekte eines KI-Einsatzes zu erwarten. Für Dr. Deniz Özcan lohnt sich KI auf jeden Fall, wie schon ihre eigenen Beispiele Bedarfsprognosen und Instandhaltung zeigten. Diese Meinung teilte grundsätzlich auch Andreas Kersch, es sei aber im konkreten Fall z.B. im Verwaltungssektor schwierig dies monetär zu berechnen.
Zudem gab es weitere Hinweise aus Sicht der Stahlindustrie an die Stahllogistik, was beim Thema KI in der Stahllogistik wichtig ist und worauf es sich vorzubereiten gilt. Dr. Deniz Özcan beschrieb die aktuelle Diskussion an einem GMH-Standort zum Thema papierlose Schnittstelle Lkw-Fahrer / Lade-/Entladestelle. Andreas Kersch nannte das Thema Verbesserung der Planbarkeit für alle Beteiligten bestehender Zeitfenster-Managementsysteme durch KI. Robert Kokott führte eine Verbesserung der „Ehrlichkeit“ der ausgetauschten Daten entlang der Supply Chain auf Seiten aller Beteiligten an, auch des Automotive-Bereichs. Verena Wiechers wünschte sich einheitliche Vorgehensweisen und Systeme auf Seiten der Hersteller.
Angesprochen auf das neue Bundesministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung sieht Robert Kokott als wichtige Aufgabe den „EU-AI-Act“ ein wenig zu entschärfen. Verena Wiechers und Stefan Drautz identifizierten weiterhin Nachholbedarf bei Kapazitäten und Qualität der Datennetz-Infrastruktur. Dr. Christian Untrieser „geht dies mit“, allerdings sei nicht alles kostenlos zur Verfügung zu stellen. Sowohl er als auch alle anderen Talk-Teilnehmenden in der zweiten Sequenz sahen generell Handlungsbedarf bei der Regulatorik und der Bürokratie.






